In den vergangenen Tagen und Wochen haben sich Beiträge in unserer Facebook-Gruppe gehäuft, in denen Anleger mit einzelnen Papieren stark im Plus sind und nun nach Antworten suchen, wie sie damit umgehen. Der Artikel liefert einige Anregungen und Vorschläge, wie man agieren kann.
Seit Ende Oktober legten die meisten Indizes deutlich zu. Weggeblasen ist die negative Stimmung aus dem Herbst 2023. Gerade bei Rüstungsaktien, Chipherstellern und KI-Werten gibt es atemberaubende Kurssteigerungen. Viele Anleger stellt das vor eine Herausforderung: Wie umgehen mit diesen Positionen?
Zunächst solltet Ihr erst einmal für Euch klären, was Ihr am Finanzmarkt seid: kurzfristig orientierte Trader oder eher längerfristig orientierte Investoren. Wer kurzfristig agiert, sei es auf Basis von Charttechnik oder anderen Signalen, der sollte eigentlich vor dem Eingehen des Trades einen Fahrplan haben. Zumindest diejenigen, die es professioneller machen, haben klare Regeln, wann sie Verluste begrenzen, wie viel sie einsetzen und wann sie damit beginnen eine Position abzusichern, teilweise oder ganz zu verkaufen. Wer ohne Regelwerk und Konzept kurzfristig agiert, der spielt in den meisten Fällen nur, und das geht selten viel besser aus als am Roulette-Tisch.
Dieser kurzfristige Trading-Bereich ist nicht mein Kompetenzbereich, mein Fokus gilt dem längerfristigen Investieren, und darum soll es im Folgenden auch gehen. Gehen wir zunächst mal der Frage nach, woher diese Gedanken und Bedenken überhaupt kommen. Ich meine, dass es viel mit der Verlustaversion zusammenhängt. Ein kleines Beispiel: Jan und Marc. Jan bekommt 500 Euro geschenkt, während Marc 1.000 Euro geschenkt bekommt. Doch Marc ist mal wieder sehr schlampig und verliert auf dem Nachhauseweg 500 Euro. Beide haben am Ende 500 Euro in der Tasche, die sie vorher nicht hatten und für die sie nichts tun mussten. Aber wer hat die bessere Laune? Ganz klar Jan. Er freut sich über die 500 Euro, während Marc den 500 Euro nachtrauert, die er verloren hat. Unterschiedliche Gemütslagen, obwohl beide im Ergebnis gleich dastehen.
Und genau diese Verlustaversion macht es für uns so schwer, lange an Gewinnerpositionen festzuhalten. Ist eine Position im Gewinn, nimmt die Angst zu, wieder etwas von diesem Gewinn abzugeben. Aber mal ganz ehrlich: Was interessiert es andere Marktteilnehmer (und sie machen kurzfristig den Kurs der Aktie durch Angebot und Nachfrage), ob Ihr im Gewinn oder Verlust seid? Was hat das mit der künftigen Unternehmensentwicklung zu tun, die nicht unwesentlich für die langfristige Kursentwicklung verantwortlich ist? Nichts. Es ist nicht einfach, unsere Psyche hier auszuschalten. Sich dieser Verlustaversion bewusst zu sein, ist aber ein erster wichtiger Punkt, der dabei hilft, ihren Einfluss auf unsere Gemütslage und Entscheidungen zu reduzieren.
Welche Faktoren sind es dann, die wir für eine Entscheidung heranziehen können? Ich möchte diese Faktoren in zwei Gruppen unterteilen: Die eine Gruppe betrifft das Unternehmen und die andere uns als Anleger. Beginnen wir mit den Punkten, die das Unternehmen betreffen. Es ist hier wichtig, sich immer wieder vor Augen zu halten: Aktien sind Anteile an Unternehmen. Langfristig kann sich eine Aktie immer nur so gut entwickeln, wie sich das Unternehmen entwickelt und wie dort gewirtschaftet wird. Wie sind die Aussichten des Unternehmens? Welche Marktstellung (Burggraben) hat es? Wie entwickelt sich der Markt, in dem die Firma aktiv ist? Wie entwickeln sich Margen und Cashflows? Das sind nur einige der Fragen, auf die wir Antworten finden sollten, und zwar am besten schon bevor wir investieren. Zudem sollten wir diese im Laufe unseres Investments im Blick behalten.
Das beste Unternehmen kann jedoch auch zu teuer bewertet sein. Das mussten Anleger beispielsweise erfahren, als sie in den 1960er- und 1970er-Jahren die Nifty-Fifty besaßen. Das waren damals herausragende Unternehmen, auch als „One-Decision“ (einmal kaufen und nie wieder verkaufen) bezeichnet. Das waren Firmen wie American Express, General Electric, Coca-Cola, IBM, oder Walt Disney, aber auch sowas wie Avon Products, Digital Equipment Corporation oder Xerox. In der Spitze hatten diese Firmen 1972 Kurs-Gewinn-Verhältnisse von 45 bis 90. Viele der Unternehmen entwickelten sich in den Folgejahren sehr gut, aber wegen der hohen Ausgangsbewertungen gab es über Jahre erst mal kräftige Kursverluste. Der Investor Howard Marks hat sich die Werte genauer angeschaut und berichtete 2021 in einem Memo, dass immerhin etwa die Hälfte der Aktien trotz der hohen Einstiegspreise über die folgenden 25 Jahre respektable Ergebnisse gebracht hat.
Ideal ist es natürlich, Aktien herausragender Unternehmen zu günstigen Bewertungen zu erwerben. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) ist eine Bewertungskennziffer, daneben gibt es noch weitere wie den Net Asset Value (NAV, Nettoinventarwert), das Verhältnis von Unternehmenswert zu Free Cash Flow (EV/FCF) oder eine hohe Eigenkapitalrentabilität (Return on Equity, ROE). Eine Sache, die mir hier immer wieder auffällt: Anleger suchen nach der einen universellen Formel für die Bewertung von Aktien. Aber diese eine Formel gibt es nicht. Je nach Unternehmen, nach Firmenstruktur und Bilanzierung muss man zu anderen Werkzeugen aus dem Methodenkoffer greifen. Wer hier tiefer einsteigen möchte, dem sei das Buch Unternehmensbewertung & Kennzahlenanalyse von Nicolas Schmidtlin* empfohlen.
Wenn Ihr also nun für Euch zu dem Ergebnis kommt, dass die Firma eine großartige Zukunft vor sich hat, und dass die Aktie günstig oder vernünftig bewertet ist, warum sollte man sich dann von den Aktien trennen? Bei herausragenden Unternehmen sollte schon eine deutliche Überbewertung da sein, um auf Ebene des Unternehmens beziehungsweise der Aktie Argumente für einen Verkauf zu finden.
Das waren jetzt einige Punkte, die das jeweilige Unternehmen betreffen, aber dann gibt es ja auch noch uns als Anleger und hier sind auch einige Punkte zu bedenken:
Ist nach dem starken Anstieg der einen Aktie ein Klumpen im Portfolio entstanden? Dieser Aspekt ist vor allem bei größeren Portfolios und eher älteren Investoren wichtig. Ein junger Anleger, der 10.000 Euro investiert hat und jeden Monat 500 Euro ins Depot steckt, der kann auch mit einem Klumpen von 30 oder 40 Prozent eher leben als ein angehender Rentner mit einem Depot von 500.000 Euro.
Einen Punkt, den Ihr für eine Entscheidung mit bedenken solltet, betrifft auch die Steuer. Nehmen wir einmal an, ein Anleger hat Anfang 2023 zehn Aktien von NVIDIA zu 140 Euro das Stück gekauft und dafür 1.400 Euro ausgegeben. Heute steht der Aktienkurs bei 728 Euro. Aus 1.400 Euro wurden 7.280 Euro. Ein Gewinn von 5.880 Euro. Verkauft er nun alle seine Aktien, um später beispielsweise wieder günstiger einzusteigen, so muss er bei vorhandenem Sparerpauschbetrag (Sparerfreibetrag) immerhin noch 4.880 Euro mit der Abgeltungssteuer versteuern. Das macht dann 1.220 Euro Kapitalertragssteuer (25 Prozent) und darauf noch mal 5,5 Prozent Soli (67,10 Euro). Kirchensteuer und Handelskosten (Brokergebühren und auch Spread) lassen wir jetzt mal außen vor. Von 7.280 Euro brutto bleiben ihm also nur noch 5.992,90 Euro. Damit er nach einer Korrektur wieder seine zehn NVIDIA-Aktien hat, muss die Aktie bis auf 600 Euro korrigieren! Und dann hat er noch kein Stück mehr. Dabei gilt es natürlich zu berücksichtigen, dass man beim Halten der Position später mehr zu versteuern hat, weil der steuerliche Einstandspreis dann höher ist, aber so lange arbeitet das Steuergeld noch für den Anleger weiter, man profitiert von damit erzielten Erträgen.
Es gibt zudem Untersuchungen, die zeigen, dass Aktien, die Privatanleger verkaufen, in den folgenden sechs Monaten im Schnitt besser laufen als der Markt, und Aktien, die neu gekauft werden, schlechter laufen. Ich hatte das in einem englischssprachigen Hörbuch gehört, finde aber leider die entsprechende Stelle nicht mehr, um das genauer zu belegen. Es ist ein für mich nicht unwesentliches Argument, eher längerfristig orientierte Anlagestrategien zu fahren.
Last but not least: Was bringt es uns, wenn die Firma eine herausragende Perspektive hat und die Aktie günstig bewertet ist, aber unsere Nerven nicht mitspielen und wir nachts nicht ruhig schlafen können und fortlaufend von der Angst, von dem Gewinn wieder was zu verlieren, beherrscht werden? Wichtig ist, dass man als Anleger sich mit dem gewählten Portfolio wohl fühlt, dass man die Schwankungen aushält. Wenn das durch den Anstieg einer volatilen Aktie nicht mehr der Fall ist, kann es durchaus für den einzelnen Anleger Sinn ergeben, trotz guter Zukunftsaussichten die Position zu reduzieren, und dabei auch mal die eigene Aufteilung zwischen risikobehafteten und risikoarmen Assets zu betrachten und beispielsweise auch in schwankungsärmere Assetklassen wie den Geldmarkt oder kurzlaufende Anleihen zu gehen.
Nachfolgend noch einige Themen kurz angerissen, die für Dich eventuell von Interesse sind:
Zum Thema Asset Allocation hatte ich schon mal einen Grundlagenartikel verfasst. In diesem Artikel erfahrt Ihr, warum es sinnvoll sein kann, sein Vermögen auf verschiedene Assetklassen zu verteilen. Ich gehe in dem Artikel auch darauf ein, was ich unter dem Begriff der Lebensdiversifikation verstehe.
Zu risikoärmeren Finanzprodukten, die vor allem Anleihen als Grundlage haben, habe ich in der letzten Zeit ebenfalls einige Grundlagenartikel verfasst. Geldmarkt-ETFs sind beispielsweise eine Alternative, wenn Ihr Euer Geld sehr risikoarm anlegen wollt und keine Lust auf Tagesgeld-Hopping habt. Der Nachteil von Geldmarkt-ETFs ist, dass die Renditen variabel sind. Anders bei iBonds ETFs. Mit ihnen kennst Du beim Kauf bereits die Zielrendite für die gesamte Laufzeit. Allerdings sind diese ETFs etwas riskanter, aber alles in allem immer noch ein sehr schwankungs- und risikoarmes Investment.
Vorsichtig solltest Du vor allem bei einzelnen Unternehmens-Anleihen sein. Welche Gefahren hier lauern, habe ich an einem konkreten Beispiel erklärt. Gerade-Anleger, die Unternehmens-Anleihen über Trade Republic ordern, sollten sich diesen Beitrag aufmerksam durchlesen.
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