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    Abgeltungssteuer bedeutet Spitzensteuersatz für Aktionäre

    Immer wieder hört man, dass die Kapitalertragssteuer, auch Abgeltungssteuer genannt, ein Geschenk für Reiche und Vermögende sei, da auf Dividenden und Kursgewinne ja nur die 25 Prozent und nicht der persönliche Einkommenssteuersatz fällig wird. Da sogar immer öfter von Aktionären und Kapitalanlegern sogar so argumentiert wird, möchte ich heute aufzeigen, warum diese Behauptung falsch ist und Aktionäre in Wirklichkeit mehr als den Spitzensteuersatz, ja oft sogar den Höchststeuersatz (Reichensteuersatz), bezahlen!

    Das deutsche Steuersystem ist eines der komplexesten der Welt. Da wundert es nicht, dass viele Bürger die Abgeltungssteuer als ein Geschenk an Reiche sehen. Dem ist allerdings bei Weitem nicht so. Um das zu verstehen, lohnt es sich, einen Schritt zurück zu gehen und einmal die Frage zu stellen, was eine Aktie überhaupt ist: Eine Aktie ist ein Anteil am Unternehmen. Als Aktionär sind wir quasi Mitunternehmer. Ein Beispiel. Wir halten 100 Aktien an der in Deutschland ansässigen Muster AG, die insgesamt eine Million Aktien ausstehen hat und pro Jahr eine Million Euro vor Steuern verdient. Der Sparerfreibetrag unseres in Deutschland ansässigen und steuerpflichtigen Anlegers ist bereits aufgeschöpft.

    Betrachten wir nun die 100 Aktien des Anlegers: Bezogen auf seinen Anteil am Unternehmen (100 von einer Million Aktien) hat er 100 Euro vor Steuern verdient. Hierauf wird auf Unternehmensebene bereits die Körperschaftsteuer von 15 Prozent, also 15 Euro in unserem Beispiel, sowie von 5,5 Prozent Solidaritätszuschlag (der auch ab 2021 für Unternehmen weiter fällig ist!) auf die Körperschaftssteuer (0,825 Euro im Beispiel) fällig. Neben Körperschaftssteuer und Soli zahlen Unternehmen aber auch noch Gewerbesteuer. Die Höhe der Gewerbesteuer setzt sich aus zwei Faktoren zusammen: Der Gewerbesteuermesszahl, die 3,5 Prozent des zu versteuernden Gewinns beträgt, sowie dem Hebesatz. Der Hebesatz wird von der Gemeinde festgelegt, dieser betrug 2018 im Durchschnitt 363 Prozent – Ausreißer ist die zwölf Einwohner zählende Gemeinde Dierfeld in Rheinland-Pfalz mit 900 Prozent! Gewerbesteuermesszahl mal Hebesatz ergibt nun die Gewerbesteuer. In unserem Beispiel nehmen wir mal den durchschnittlichen Hebesatz von 363 Prozent. Damit beträgt die Gewerbesteuer dann 12,705 Prozent oder 12,705 Euro.

    Unterm Strich steht also nach der Besteuerung auf der Ebene des Unternehmens nur ein Nettogewinn von 71,47 Euro zur Ausschüttung zur Verfügung! Auf diesen Gewinn wird nun bei Ausschüttung die Kapitalerstragssteuer von 25 Prozent sowie der Soli von 5,5 Prozent auf die Kapitalerstragssteuer (auch Anleger zahlen ab 2021 weiter Soli!) fällig. Die Kirchensteuer lassen wir hier außen vor, da sie eine mehr oder minder freiwillige Steuer ist. Am Ende bleiben dem Aktionär von 100 Euro Vorsteuergewinn also 52,62 Euro netto auf seinem Konto. Oder anders herum: Der effektive Steuersatz auf den ursprünglich mal erzielten Gewinn vor Steuern beträgt 47,38 Prozent!

    Und nun der Vergleich mit dem Spitzensteuersatz: Dieser beträgt in Deutschland bei einzeln veranlagten Steuerpflichtigen mit einem zu versteuerndem Jahreseinkommen von mehr als 57.052 Euro und weniger als 270.501 Euro nur 42 Prozent! Wer mehr als 270.501 Euro pro Jahr verdient, muss für jeden Euro darüber hinaus 45 Prozent bezahlen. Zudem gibt es ab 2021 dann auch noch Einkommensgrenzen, ab denen der Soli ebenfalls gezahlt werden muss, so dass die Sätze mit Soli 44,31 Prozent beziehungsweise 47,47 Prozent betragen.

    Ihr seht also: Betrachtet man die Aktie im Gesamtkontext als das, was sie ist, nämlich eine Unternehmensbeteiligung, so liegt der Steuersatz im Schnitt auf dem Niveau des Höchststeuersatzes, auch Reichensteuer genannt. Und bei Aktionären wird dieser wohlgemerkt fällig, sobald die 801 Euro Sparerfreibetrag ausgeschöpft sind!

    Auf die häufigsten Einwände möchte ich kurz eingehen:
    1. Im Beispiel kam jetzt eine deutsche Firma vor, was ist mit ausländischen Aktien?
    Bei außerhalb Deutschlands ansässigen Unternehmen zahlen diese in Ihrem Heimatland ebenfalls auf Ebene des Unternehmens bereits Unternehmenssteuern.
    2. Anleger erzielen ja nicht nur Dividenden, sondern auch Kursgewinne und für die ist noch keine Steuer auf Ebene des Unternehmens abgeführt worden? Wodurch entstehen langfristig die Kursgewinne? Sie entstehen durch einbehaltene (versteuerte Gewinne) und durch die Diskontierung (Abzinsung) künftiger (versteuerter) Gewinne. Also auch hier greift am Ende wieder das oben gezeigte Beispiel.
    3. Aber Trader profitieren von der Abgeltungssteuer! Hierzu würde mich mal die Statistik der Online-Broker interessieren. Ich bin der Überzeugung, dass die Mehrzahl der kurzfristig agierenden Trader Verluste und keine Gewinne einfährt. Und diese Verluste können mit nichts, nur mit künftigen Gewinnen / Erträgen aus Kapitalvermögen (bei Derivaten ist das ab 2021 zudem noch gekappt) verrechnet werden, während die Anleger, die Gewinne einfahren, die Abgeltungssteuer zahlen. Per Saldo dürfte auch hier die Steuerlast höher als bei der Einkommensteuer liegen. Für den CFD-Handel gibt es allerdings eine schöne Statistik und die möchte ich Euch nicht vorenthalten: Je nach Broker liegt die Verlustquote zwischen 61 und 76 Prozent.

    Die Verlustquote der Trader mit CFDs beträgt 61 bis 76 Prozent. Quelle: https://devisen-handeln.org/

    Zu guter letzt noch eine Gruppe, die von der Abgeltungssteuer profitiert hat, und ich sage bewusst „hat“: Die Anleger in Zinspapieren (Anleihen, Tagesgeld, Festgeld usw.). Sie mussten tatsächlich nur 25 Prozent zuzüglich Soli bezahlen. Aber auch jetzt rächt sich hier die Abgeltungssteuer, denn Zinsen gibt es nicht mehr, und wenn es dumm läuft, fallen Negativzinsen an. Und die dürfen nicht bei der Steuer angesetzt werden, die müssen aus voll versteuertem Geld bestritten werden!

    Ich hoffe, ich konnte verständlich darlegen, dass die Abgeltungssteuer kein Geschenk an Reiche oder an Aktionäre ist, sondern ein Baustein in einem komplexen Steuersystem, das am Ende die unterschiedlichen Einkommen gar nicht so unterschiedlich besteuert. Ich würde mich freuen, wenn Ihr diesen Artikel oder das Video jedes Mal als Kommentar teil, wenn jemand wieder Hetze gegen Aktionäre macht. Vielen Dank dafür!

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