Im Beitrag vor drei Wochen zu den Aktiensplits habe ich erwähnt, dass es zu Zeiten des Neuen Marktes einfach war, mit Splits Geld zu verdienen. Nun beim Split von Eckert & Ziegler das Déjà-vu-Erlebnis. Und es war nicht die einzige Parallele, die mir in den vergangenen Wochen aufgefallen ist. Daher möchte ich die aktuelle Situation mit der zu Zeiten des Neuen Marktes vergleichen.
Historische Kursverläufe an den Börsen lassen sich nie eins zu eins auf die Zukunft übertragen, aber es gibt immer wieder Parallelen und manche funktionieren langfristig ganz gut als Warnsignale. Am 10. März 1997 startet der Neue Markt mit den Aktien von MobilCom und Bertrandt. Der Nemax All Share Index startete bei 505,28 Punkten. In exakt 3 Jahren stieg der Index um 1.594 Prozent! Ganz Deutschland war im Aktienfieber.
Nehmen wir uns nun mal ein paar markante Erlebnisse aus der Zeit des Neuen Marktes (1997 – 2003) beziehungsweise der „New Economy“ vor und suchen Analogien in der heutigen Zeit.
Aktienspekulation auf Kredit: Zur Jahrtausendwende haben sehr viele Privatanleger Aktien auf Kredit gekauft. Die Aktien dienen dabei als Sicherheit und werden bis zu gewissen Prozentsätzen (hängt von der Art des Wertpapiers und vom Broker ab) beliehen. Durch den Einsatz von Fremdkapital waren in den rasant steigenden Märkten enorme Gewinne möglich. Die in den steigenden Marktphasen „leicht“ erzielten Gewinne haben die Anleger gierig werden lassen. Es wurde immer mehr gehebelt. Die erste Phase des Kursrückgangs war dabei für viele schmerzhaft, aber noch nicht existenziell. Erst als im Laufe der zweiten Hälfte des Jahres 2000 versucht wurde, mit noch mehr Kredit die Verluste wieder zurück zu holen, ging es für viele an die Substanz. Die Banken haben lange Zeit kräftig beliehen und auch nicht sofort die Reißleine gezogen. Viele Anleger haben damals ihr komplettes Eigenkapital verloren, einige blieben mit einem Berg Schulden zurück.
Und wie sieht die Situation heute aus: Es wird wieder auf Kredit angelegt und man wird als „dumm“ und „altbacken“ hingestellt, wenn man das kritisiert. Erst diese Woche habe ich ein Posting auf Instagram gesehen. In dem Posting wurde ein Aktiendepot von 50.000 € um 20.000 € Kredit gehebelt. Ein solches Vorgehen ist einfach nur finanzieller Selbstmord. Warum, möchte ich kurz aufzeigen: Je nach Wertpapier erlaubt die Bank (Sätze sind von Bank zu Bank verschieden) 30 Prozent (Nebenwerte) bis 60 Prozent (ETFs) des Depotvolumens als Kredit aufzunehmen. Nehmen wir mal eine Beleihungsquote von 50 Prozent im Beispiel an. Dann beträgt die Beleihungsgrenze bei 70.000 Euro Investment in Blue-Chip-Aktien rund 35.000 Euro. Fallen die Kurse nun um rund 43 Prozent, reichen die Aktien, die dann nur noch 40.000 Euro wert sind, nicht mehr aus, um den Kredit zu besichern. Die Bank wird jetzt auffordern, weitere Sicherheiten zu bringen, oder damit beginnen, Teile der Aktien zu liquidieren und im Tief oder Nahe des Tiefs zu verkaufen. Und ein Kursrückgang von 43 Prozent kann schneller passieren als man sich umschauen kann. Das sollte der Corona-Crash auch Einsteiger gelehrt haben! Hinzu kommt, dass in diesen Situationen die Banken auch die Möglichkeit haben, die Beleihungssätze zu senken oder die Kreditlinie komplett zu kündigen! Damit muss der Anleger noch schneller Sicherheiten beibringen oder verkaufen. Zudem verkraften sehr viele Anleger emotional die starken Kursrückgänge nicht. Es ist schon schwer genug ein fünf- oder sechsstelliges Minus im Depot zu verkraften. Mit Kredit gehebelt fällt das noch viel, viel schwerer und führt nicht selten dazu, dass im Tief alles entnervt verkauft wird.
Zwischen der Situation heute und der im Jahr 2000 gibt es bei der Spekulation auf Kredit nur einen kleinen Unterschied: Damals war die Gier nach schnellem Geld der treibende Faktor. Die Zinsen von 7, 8 oder mehr Prozent pro Jahr wurden bei Kurszuwächsen von 100 Prozent und mehr im Monat billigend in Kauf genommen. Heute gibt es Wertpapierkredite schon für 2,25 Prozent p. a. Der treibende Faktor ist also weniger die Gier, denn mehr der günstige Zins. Hier möchte ich an einen meiner Lieblingssprüche erinnern: „Billiges Geld macht Unfug“ – Lasst konsequent die Finger von Wertpapierkäufen auf Kredit. So verlockend es auch scheint! Zudem empfehle ich meinen Beitrag über den Vergleich zwischen Immobilien und Wertpapieren auf Kredit.
Günstigerer Zugang zur Börse: Für Anleger, die in den letzten Jahren erst angefangen haben, mag es unglaubwürdig klingen, aber bis Mitte der 1990er-Jahre war es mehr oder minder Gang und Gäbe beim Handel über die Hausbank 1 Prozent Provision pro Aktienoder, Mindestgebühr von oft 50 DM oder mehr, zu bezahlen. Erst die dann langsam aufkommenden Online-Broker brachten Druck auf die Gebühren und ermöglichten Anlegern auch mit kleineren Summen kostengünstig den Zugang zur Börse. In diesem Segment hat sich in 20 Jahren recht wenig getan, bis 2019 die NEO-Broker den Markt erobert haben. Diese nutzen schlanke Strukturen und die Digitalisierung um so gut wie keine Gebühren beim Handel zu verrechnen (den Spread hier mal außen vor gelassen). So attraktiv diese Angebote für kleine Summen auch sind, so verlockend und gefährlich ist es darüber zu traden. Vor allem in den USA hat das beim dortigen Primus Robinhood zu massiven Exzessen geführt, die sehr wohl an die Zeit des Neuen Marktes erinnern. Anleger kaufen etwas, das in der Rennliste ganz vorne steht und sexy klingt, ohne zu wissen, was sie tun. So letzte Woche bei den ADRs von Biofrontera geschehen:
Biofrontera ist ein deutsches dermatologisches Spezial-Pharmaunternehmen, dessen ADRs (1 ADR entspricht 2 Aktien) in den USA notiert werden. Und jetzt kam es zu der kuriosen Situation, dass aktuell eine Kapitalmaßnahme bei Biofrontera ansteht, so dass erst ab 14. August wieder neue ADRs ausgegeben und so für Arbitrage gesorgt werden kann. Aus welchem Grund auch immer hat eine kleine Nachfrage in den USA ausgereicht um den ADR-Kurs ganz oben in der Gewinnerliste der Nasdaq auftauchen zu lassen. Und dann ging der Run der Robinhood-Anleger los. Sie trieben den Kurs innerhalb weniger Stunden auf 55 US-Dollar (Höchstkurs an der Nasdaq). Die meisten werden sicher nicht gewusst haben, was sie dort kaufen.
Ähnlich war es zu Zeiten des Neuen Marktes. Ich erinnere mich noch gut an einen Aprilscherz, den ich seinerzeit bei Börse Online mit Schnigge & Partner zusammen organisiert habe. Am 1. April 1999 haben wir Aktien von WC.com zum vorbörslichen Handel angeboten. Bis zum Abend gab es mehr als 100 Kaufaufträge von gierigen Aktionären und das, obwohl sie nichts über die Firma wussten oder es eine Webseite oder ähnliches gab.
Der Split-Trick: Im Beitrag zu den Splits vor 3 Wochen habe ich das Beispiel DataDesign erwähnt, die sich am Tag nach dem Split verdoppelt hat, da einfach die Split-Stücke nicht zum Verkauf zur Verfügung standen und die Anleger so gierig aufgrund des optisch günstigen Kurses waren. Und ich konnte meinen Augen nicht trauen, als ich gesehen habe, was am 31. Juli nach dem Aktiensplit von Eckert & Ziegler passierte. Für je eine alte Aktie gab es drei weitere hinzu. Die neuen Aktien wurden aber erst am 4. August eingebucht, während die Börse den Split schon am 31. Juli vollzogen hat. Damit war auf der Angebotsseite nur ein Viertel der Stücke handelbar, während aufgrund des optisch günstigen Kurses auf der Käuferseite die Nachfrage anzog. Das Ergebnis: An einem einzigen Tag kletterte Eckert & Ziegler von 37 auf 46 Euro! Der Split-Effekt funktioniert also heute wieder.
Ein Punkt, der heute nahezu komplett im Vergleich zu den Zeiten des Neuen Marktes fehlt, sind Neuemissionen. In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre gab es hunderte von Neuemissionen. Los ging es Ende 1996 mit der Emission der Deutschen Telekom. Ihr folgten viele kleine Gesellschaften. Neuemissionen waren heiß begehrt, notierten am ersten Tag bereits mehrere 100 Prozent über dem Emissionspreis. Neuemissionen-Zeichnen war seinerzeit Volkssport, bei dem man jedoch meist nichts zugeteilt bekommen hat. Aktuell gibt es hingegen sehr wenige Neuemissionen. Die großen Tech-Konzerne kaufen viele kleine Firmen direkt weg.
Bei weitem nicht so extrem ist auch die Begeisterung der breiten Bevölkerung für Aktien. Sowohl die offiziellen Statistiken, als auch die subjektive Wahrnehmung zeigen hier zwar ein klein wenig mehr Interesse an der Thematik, aber das ist nicht im Ansatz mit der Euphorie zu vergleichen, die 1999/2000 geherrscht hat. Und auch hier dürfte weniger die Gier nach Gewinnen, als der von den niedrigen Zinsen herbeigeführte Anlagenotstand der treibende Faktor sein.
Eine Parallele lässt sich in den Medien noch ausmachen: In der New Economy wurden Magazine wie Focus Money oder die Telebörse und die Financial Times Deutschland (FTD) gegründet, etablierte Magazine wie BÖRSE ONLINE haben damals ihre Auflage auf nie wieder erreichte Rekordzahlen (ich glaube, es waren damals 400.000 Hefte pro Woche) gesteigert. Da heute Print-Medien mehr oder minder tot sind, bringt ein Vergleich wenig. Einzig der Spiegel lancierte im Mai ein Geld-Magazin. Aber: Heute sprießen im Social Media Bereich reihenweise neue Angebote aus dem Boden. Es gibt hunderte von (oft unerfahrenen) Anlegern, die auf Instagram, YouTube und anderen Plattformen vor allem mit Aktientipps um die Aufmerksamkeit der Leser kämpfen. Und auch mein Blog und YouTube-Kanal ist erst in diesem Jahr entstanden. Zudem haben die etablierten Anbieter in den letzten Monaten massiv an Abonnenten und Followern gewonnen.
Auch bei den an der Börse notierten und bei Anlegern beliebten Gesellschaften gibt es einen massiven Unterschied: Heute verdienen die nach Marktkapitalisierung teuren Firmen wie Amazon, Apple, Microsoft, Facebook oder Alphabet Quartal für Quartal Milliarden von US-Dollar, während damals ein Großteil der gehypten Firmen noch weit davon entfernt war, Geld zu verdienen, und mehr deren Träume als deren Cash-Flow bewertet wurden.
Welche Konsequenzen hat die aktuelle Situation nun für uns Privatanleger: Das Wichtigste ist, nicht gierig werden, sondern weiter konsequent die Grundregeln der Kapitalanlage befolgen, als die wären:
Diversifikation wird in den kommenden Jahren wichtiger sein denn je. Wie wichtig die Streuung ist, hat der Corona-Crash gezeigt. Wer hier über die Branchen gut gestreut war, hat zwar mit einigen Aktien größere Verluste zu verbuchen, aber über profitierende Firmen, allen voran IT- und Online-Firmen, wurden diese großteils ausgeglichen oder gar überkompensiert. Was ich hier allerdings in den letzten Wochen beobachtet habe, ist: Die positive Performance der Techs führt nun dazu, diese überzugewichten und fast schon heilig zu sprechen. Ein Anleger hat allen ernstes geschrieben: Er diversifiziert stark, aber eben nur im Technologie-Bereich. Nein, das ist keine sinnvolle Diversifikation, auch wenn es sinnvoll erscheint, das Depot nur mit Growth-Aktien zu füllen.
Wir haben eine Phase von nun 13 Jahren, in denen Growth Value outperformt hat. Es ist kein Naturgesetz, dass das immer so ist. Im Gegenteil: Viele Value-Firmen sind aktuell inzwischen extrem günstig bewertet, während stark wachsende Gesellschaften sehr teuer bewertet sind. Daher ist es wichtiger denn je eine gesunde Mischung aus beiden Typen im Depot zu haben. Die Stärke des Euro (und Schwäche des US-Dollars) der vergangenen Wochen hat zudem gezeigt: Auch 100 Prozent US-Aktien ist keine Diversifikation! Nur wer sauber über Branche, Länder, Value/Growth, Währungsräume etc. streut und dabei die Bildung von Klumpen vermeidet, wird langfristig solide Anlageergebnisse erzielen.
Lehre Nummer zwei aus dem Vergleich ist: Versucht kein Market-Timing. Wann und ob ein Umschwung von Growth zu Value kommt oder weg von einer Outperformance der USA im Vergleich zum Rest der Welt, steht in den Sternen. Auch lässt sich der nächste Crash nicht seriös prognostizieren. Investiert daher regelmäßig und langfristig in die Märkte. Aktuell dominieren vor allem die Notenbanken mit der Druckerpresse die Märkte. Wie sie weiter vorgehen, lässt sich nicht seriös prognostizieren.
Zu guter letzt noch eine wirklich eindringliche Bitte: Investiert nur Geld, das ihr in denn nächsten Jahren nicht benötigt. Tätigt niemals, auch wenn es noch so sicher erscheint (genau dann ist es im Übrigen oft am unsichersten, aber das ist ein eigenes Thema) Wertpapierkäufe auf Kredit. Crash und Kursrückgänge könnt Ihr bequem aussitzen, wenn Ihr die Papiere mit einem langfristigen Anlagehorizont und mit nicht benötigtem Geld gekauft habt. Bei Käufen auf Kredit zwingt Euch die Bank oftmals, dann auszusteigen, denn die Kurse am schlechtesten sind.