Das Kurs-Gewinn-Verhältnis, kurz KGV, wird von vielen Investoren immer wieder als ein Argument für oder gegen den Kauf einer Aktie ins Feld geführt. Was ist das KGV überhaupt? Ist ein niedriges oder hohes KGV gut und wie setze ich das KGV sinnvoll bei der Bewertung von Aktien ein, das erläutere ich in diesem Beitrag.
Die Berechnung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses ist recht simpel, da man für sie nur zwei Kennzahlen benötigt und bereits die Grundrechenarten dafür ausreichen: Der Kurs einer Aktie wird einfach durch den Gewinn je Aktie dividiert:
Je mehr Gewinn je Aktie ein Unternehmen erzielt, desto niedriger wird das Kurs-Gewinn-Verhältnis. Umgedreht führt ein höherer Kurs bei sonst gleichem Gewinn auch zu einem höheren KGV. Ein Beispiel: SAP hat im Jahr 2019 einen Gewinn je Aktie von 2,78 Euro. Bezogen auf den aktuellen Aktienkurs von 115 Euro errechnet sich ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 41,4. Die historische Betrachtung ist aber nur eine Möglichkeit. Viel häufiger wird das KGV auf Basis von Gewinnschätzungen und damit für künftige Erträge berechnet. Für SAP erwarten Analysten im Durchschnitt für 2020 einen Gewinn je Aktie von 3,94 Euro, für 2021 von 4,64 Euro und für 2022 sogar von 5,60 Euro. Hieraus errechnet sich aktuell ein KGVe (e für erwartet) von 29,2 (2020), 24,8 (2021) sowie 20,5 (2022).
Die Angabe des KGV ohne weitere Informationen zu dem betreffenden Unternehmen ist allerdings wenig hilfreich. Es ergibt beispielsweise wenig Sinn, einen zyklischen Chemiewert wie es BASF zum Beispiel ist, mit einem wachstumsstarken Software-Unternehmen wie SAP zu vergleichen. Eine Firma, die viel Geld in Wachstum investiert und deren Märkte stark wachsen, wird schon in naher Zukunft deutlich höhere Gewinne erzielen und damit künftig immer niedrigere KGVs aufweisen, während ein zyklisches Unternehmen im Boom ein extrem geringes KGV und in der Rezession ein extrem hohes KGV hat. Im Extremfall fährt der Zykliker sogar Verluste ein. Ein KGV kann dann überhaupt nicht berechnet werden. Daher nutzt das KGV vor allem beim Vergleich von Unternehmen einer Branche miteinander. Zudem lässt es bei Wachstumsfirmen, gerade aus dem Technologiebereich, gute Rückschlüsse zu, wenn man es in Relation zum Gewinnwachstum setzt. Diese Kennzahl nennt sich dann PEG vom Englischen Price-Earnings-Growth-Ratio und wird errechnet, indem man das KGV durch das durchschnittlich für die kommenden Jahre erwartete Gewinnwachstum setzt: Ausgehend von einem geschätzten längerfristigen Gewinnwachstum von 20 Prozent pro Jahr ergibt sich für SAP für 2021 dann ein erwartetes PEG von 1,24. In den meisten Fällen ist es interessanter in ein Unternehmen mit einem zwar höheren KGV bei gleichzeitig auch höherem Gewinnwachstum zu investieren. Schon nach einigen Jahren führt das Gewinnwachstum dazu, dass das dann aktuelle KGV niedriger ist als das eines Unternehmens, das zwar anfangs ein niedriges KGV hatte, aber dessen Gewinne nur stagnieren oder gar fallen.
Aber nicht nur bei Wachstumsunternehmen, sondern auch bei Zyklikern und Firmen mit eher stagnierendem Geschäft kann das KGV eine Orientierung geben. Gerade jetzt in der Krise brechen ja vielen Firmen die Gewinne weg. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der für 2020 erwarteten Gewinne, wenn es denn überhaupt welche gibt, kann man bei vielen Aktien in die Tonne treten. Aber man kann schauen, welche Gewinne diese Firmen in Boomphasen erzielt haben, und diese in Relation zum aktuellen Kurs setzen. Bleibt die Anzahl der Aktien gleich (also ist zum Überleben keine Kapitalerhöhung notwendig) und bestehen Chancen, dass das Geschäft nach dem Überwinden der Krise wieder auf das alte Niveau zurück kommt, so kann eine solche KGV-Betrachtung zeigen, welches Potential eine Aktie hat.
Dass in Krisen die Gewinne niedrig und damit die KGVs hoch sind, zeigt auch der nachfolgende Chart: Er zeigt den S&P 500 und die Gewinne in Indexpunkten. Man sieht sehr schön den massiven Gewinn-Einbruch in der Finanzkrise 2008/09, der Rezessionszeitraum ist grau hinterlegt. In dieser Zeit war das KGV hoch, obwohl es sehr attraktiv war zu investieren.
Eine dritte Variante, das KGV zu berechnen, ist das Shiller-KGV, benannt nach dem amerikanischen Nobelpreisträger Robert Shiller. Er verwendet den gleitenden Durchschnitt der inflationsbereinigten Gewinne der vergangenen 10 Jahre, um temporäre Sondereinflüsse zu vermeiden. Das Shiller-KGV soll dabei helfen, langfristige Übertreibungen der Märkte und Spekulationsblasen zu erkennen. Nachfolgend ein Chart, der das Shiller-KGV in den USA für den S&P 500 im Laufe der Jahrzehnte zeigt.
Im Chart mit dem Shiller-KGV lassen sich sehr schön die beiden großen Übertreibungen im Jahr 1929 und im Jahr 2000 erkennen. Es wird spannend, wie sich in den kommenden Monaten und Jahren das Shiller-KGV entwickeln wird. Die herben Gewinneinbrüche, die viele Firmen im laufenden Jahr verzeichnen werden, hinterlassen für die kommenden zehn Jahre bei der Berechnung ihre Spuren.
Dividiert man 100 durch das KGV, so erhält man die Gewinnrendite. Der nachfolgende Chart zeigt die Gewinnrendite auf Basis der rollierenden 12-Monats-Gewinne für den S&P 500 Index:
Last but not least noch ein ganz wichtiger Punkt für die aktuelle Situation: Viele Datenanbieter aktualisieren nur sehr langsam und verspätet die Daten. Daher ist es sehr wichtig, sich zu fragen, wie valide die verwendeten Gewinnprognosen sind. Denn die Aussagekraft einer Kennziffer wie es das KGV ist, steht und fällt mit der Qualität der verwendeten Daten.